Eigenmietwert – ein «fiktives» Einkommen?
publiziert am 13.11.2024
Wer ein Eigenheim bewohnt, versteuert einen Eigenmietwert als Einkommen. Doch was sind eigentlich die Hintergründe der Eigenmietwertbesteuerung?
Kürzlich konnte man vernehmen, dass die zuständigen Parlamentskommissionen den Eigenmietwert (EMW) vollständig abschaffen wollen. Ob dieser dereinst tatsächlich abgeschafft wird, ist unklar. Bereits zwei Mal scheiterten Vorlagen dazu an der Urne und schon mehrmals im Parlament.
Angestrebte Gleichbehandlung von Wohneigentümern und Mietern
Hinter dem System der Eigenmietwertbesteuerung steht gemäss Gesetzesbotschaft das Anliegen, Wohneigentümer und Mieter gleichzubehandeln: Die Aufrechnung des EMW wird als notwendiges Korrelat zum Grundsatz angesehen, demzufolge die Mietzinsen nicht abzugsfähig sind, weil sie dem steuerlich irrelevanten Bereich der privaten Lebenshaltung zugeordnet werden.
Die gesetzlichen Einkommensgeneralklauseln beruhen auf der sog. «Reinvermögenszugangstheorie». Demnach sind sämtliche Vermögenszugänge – einschliesslich der Nutzungswerte – steuerbar, sofern und soweit sie die Leistungsfähigkeit des Einzelnen tatsächlich erhöhen. So betrachtet, stellt der EMW ein Naturaleinkommen dar, das zu besteuern ist.
Zwar vereinnahmt gemäss dem Bundesgericht (BGer) der Eigentümer, der sein eigenes Haus bewohnt, kein Bareinkommen; stattdessen erziele er aber ein Naturaleinkommen, das auf seinem Immobilienvermögen beruht. Indem er nämlich die Liegenschaft selbst bewohne, erspare sich der Eigentümer mit der Miete eine unerlässliche Ausgabe, die jeder andere Steuerzahler aufwenden müsse.
Daraus folgt laut BGer, dass die Besteuerung des Mietwerts einen integralen Bestandteil der Gesamtreineinkommensbesteuerung darstellt. Richtigerweise handelt es sich beim EMW somit nicht um fiktives Einkommen, sondern um Einkommen ohne Zufluss von flüssigen Mitteln.
Eigenmietwerte entsprechen nicht den Marktmietwerten
Laut BGer darf der EMW bei der direkten Bundessteuer nicht unter 70%, bei den Kantonen nicht unter 60% des Marktmietwerts liegen. Die Aufrechnung des EMW bringt es mit sich, dass alle Aufwendungen, die mit der Erzielung dieses Einkommens zusammenhängen, als Gewinnungskosten abzugsfähig sind. Das gilt namentlich für Schuldzinsen (Hypothekarzinsen) sowie für Unterhalts- und Verwaltungskosten.
Das geltende System strebt eine ausgewogene Verteilung der Steuerlasten zwischen Hauseigentümern und Mietern an. Dieses Ziel wird letztlich aber nicht wirklich erreicht. Denn hierzu müssten die EMW dem Marktmietwert entsprechen, worauf jedoch sowohl Bund als auch Kantone bewusst verzichten. Es wird somit nicht das effektiv erzielte Naturaleinkommen erfasst. Dennoch können die Wohneigentümer sämtliche Gewinnungskosten abziehen; zudem stehen ihnen ausserfiskalisch motivierte Abzüge offen (wie für Investitionen, die dem Energiesparen dienen). Dies führt im Ergebnis in der Regel zu einer Bevorzugung der Wohneigentümer unter dem geltenden Regime. Diese lässt sich nach Auffassung des BGer aber namentlich mit dem verfassungsrechtlichen Konzept der Wohneigentumsförderung rechtfertigen.
Quellenhinweis: Der vorstehende Überblick stammt zu weiten Teilen aus dem Aufsatz «Abschaffung des Eigenmietwerts» von Andrea Opel und Stefan Oesterhelt, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Steuer Revue, Jahrgang 9/2023, Seite 590 ff.